Der gewöhnliche Probierstein: ob etwas bloße Überredung, oder wenigstens subjektive Überzeugung, d. i. festes Glauben sei, was jemand behauptet, ist das Wetten. Öfters spricht jemand seine Sätze mit so zuversichtlichem und unlenkbarem Trotze aus, daß er alle Besorgnis des Irrtums gänzlich abgelegt zu haben scheint. Eine Wette macht ihn stutzig. Bisweilen zeigt sich, daß er zwar Überredung genug, die auf einen Dukaten an Wert geschätzt werden kann, aber nicht auf zehn, besitze. Denn den ersten wagt er noch wohl, aber bei zehn wird er allererst inne, was er vorher nicht bemerkte, daß es nämlich doch wohl möglich sei, er habe sich geirrt. Wenn man sich in Gedanken vorstellt, man solle worauf das Glück des ganzen Lebens verwetten, so schwindet unser triumphierendes Urteil gar sehr, wir werden überaus schüchtern und entdecken so allererst, daß unser Glaube so weit nicht zulange. So hat der pragmatische Glaube nur einen Grad, der nach Verschiedenheit des Interesses, das dabei im Spiele ist, groß oder auch klein sein kann.

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781

The usual touchstone, whether that which someone asserts is merely his persuasion – or at least his subjective conviction, that is, his firm belief – is betting. It often happens that someone propounds his views with such positive and uncompromising assurance that he seems to have entirely set aside all thought of possible error. A bet disconcerts him. Sometimes it turns out that he has a conviction which can be estimated at a value of one ducat, but not of ten. For he is very willing to venture one ducat, but when it is a question of ten he becomes aware, as he had not previously been, that it may very well be that he is in error. If, in a given case, we represent ourselves as staking the happiness of our whole life, the triumphant tone of our judgment is greatly abated; we become extremely diffident, and discover for the first time that our belief does not reach so far. Thus pragmatic belief always exists in some specific degree, which, according to differences in the interests at stake, may be large or may be small.

Immanuel Kant, Critique of Pure Reason, 1781


Added to diary 17 December 2018